Harmlose Kameras

Lesedauer 5 Minuten

«Nur weil einer paranoid ist, bedeutet das nicht, dass er nicht verfolgt wird.»
Unbekannter Verfasser. (Nein, es war nicht Woody Allan und auch nicht Ginsbourg)

Wohin sich die weltweite Politik und die deutsche Gesellschaft innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte entwickelt, kann niemand voraussagen. Unabhängig davon, dass man dieses ohnehin nicht kann, sind die Entwicklungen unübersichtlich geworden. Daraus ergibt sich, dass wir alle Instrumentarien, die wir Sicherheitsbehörden in die Hand geben, einem Unbekannten überreichen.
Wir können zurückschauen und anhand dessen ermitteln, was theoretisch eintreten kann. Da waren die Gleichschaltungsbestrebungen der Nationalsozialisten, die stalinistische Paranoia in der DDR und später vom BGH bemängelte Überwachungseinsätze. Daraus kann nicht abgeleitet werden, was kommen wird, aber wir wissen: Greift niemand rechtzeitig regulierend ein, neigen Sicherheitsbehörden und Politik zu einem Übermaß der Kontrolle des Einzelnen. Grundsätzlich ist das auch vollkommen logisch und ergibt sich aus der Natur der Sache.
Für einen Menschen, dem der Auftrag gegeben wird, Gefahren für ein System abzuwehren, ist Kontrollverlust ein Horrorszenario. Bei der Verbrechensbekämpfung wird ein Ermittler zu allen vorhandenen Möglichkeiten greifen, eine Straftat aufzuklären. Aber es gibt eben nicht nur die Verbrechensbekämpfung, sondern alles was dort verwendet wird, kann auch anders verwendet werden.

Zur Zeit verfügen die Ermittlungsbehörden über die Möglichkeiten einer offenen technischen Überwachung (Optisch, akustisch), einer konspirativen Überwachung (z.B. verdeckte Kameras, Telefonüberwachung, Standortermittlungen mittels Telefonortung und GPS, Verdeckte Ermittlungen, Observationen). Im technischen Bereich werden die Einsatzmittel ständig verbessert. Eine Folge davon ist, das immer weniger menschliche Arbeitskraft und Zeit investiert werden muss. Des Weiteren findet ein stetiger Wettlauf statt. Straftäter und Terroristen ersinnen stetig neue Strategien, um der Strafverfolgung zu entgehen bzw. einen Anschlagsplan umzusetzen. Nahezu jede technische Einrichtung kann umgangen werden, vorausgesetzt man kennt sich aus. Jeder erfahrene Ermittler kennt die Grenzen und weiß um die Gefahren, wenn man sich zu sehr auf die Technik verlässt. Auch aus diesem Grunde wird die Technik stets verbessert.

Daraus kann geschlussfolgert werden, dass technisch versierte und finanzkräftige Straftäter den technischen Radar jederzeit unterfliegen können. Dem normalen Bürger gelingt dieses eher nicht. Außerdem ist kein Ende der Möglichkeiten und der sich daraus ergebenden Spirale in Sicht. Spätestens wenn das Wort Terror fällt, wird alles genehmigt.
Wo kann das in Zukunft hinführen? Theoretisch kann ich jeden Bürger verpflichten von sich ein Bewegungsprofil anzulegen, welches dann zum Zweck der Aufklärung einer Straftat aufgedeckt wird. Öffentliche Räume und Plätze können akustisch und optisch überwacht werden.

Fallen bestimmte Wörter oder werden Bewegungen registriert, die vom Standard abweichen, erfolgt eine Aufzeichnung bzw. der Einsatz einer geeigneten Abwehr. In den USA wurden bereits Roboter getestet, die in solchen Fällen den Platz klären können und auch Maßnahmen ergreifen können. Das gesamte Kommunikationssystem im Land kann auf verdächtige Gespräche überwacht werden. Dazu müssen lediglich Begriffe in eine Software eingegeben werden, die dann die Auswertung übernimmt.

Die Kombination aus biometrischer Erfassung eines jeden Bürgers (China ist gerade dabei) mit den Möglichkeiten der neuen Technik, die die Auswertung von Bewegungen, Temperaturveränderungen und einiges mehr können, lassen in naher Zukunft die fast lückenlose Observation einer Person zu.

Das deutsche Beispiel für den Versuch, einen perfekten Überwachungsstaat aufzubauen, war die DDR. Bei der Staatssicherheit arbeiteten vollkommen normale Menschen. Keine gehirnlosen Zombies, Monster oder dystopische Erfindungen, schlicht pflichtbewusste Staatsbeschäftigte. Insofern ist die Annahme, dass dies jederzeit wieder passieren kann, nicht von der Hand zu weisen. In Russland und in China können wir aus der Ferne eine mögliche Entwicklung beobachten.

Wenn sich Verantwortliche und Vertreter von Sicherheitsbehörden mit diesen Fragen kritisch auseinandersetzen, die Für und Wider ausleuchten, auch mal die Bremse anziehen, weil ihnen etwas zu weit geht, entsteht in mir Vertrauen. Passiert genau das Gegenteil, schwindet mein Vertrauen und in mir kommen Befürchtungen auf. Wer bei jeder neuen Technik Hurra schreit, eventuell sie selbst vorantreibt und sie unkritisch mit der Rhetorik: «Wer nichts zu verbergen hat, muss auch nichts befürchten!», oder ausschließlich die Sicherheit vor die Freiheit stellt, erzeugt bei mir ein erhebliches Misstrauen. Gerade von Insidern aus den Gewerkschaften, der Polizei, dem Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst hätte ich eine kontroverse Diskussion bezüglich des Ausbaus der Überwachung mittels Kameras erwartet. De facto fand sie nicht statt. Twitter Nachrichten seitens der GdP, DPolG und BDK haben es nicht besser werden lassen. Vergleicht man die Möglichkeiten aus den Achtzigern des letzten Jahrhunderts mit unseren heutigen Möglichkeiten, wird dem Insider schwindlig.

Früher wurden beim Einsatz von Technik hohe Hürden aufgestellt. Der Einsatz war schlicht kompliziert, etwas für Spezialisten und in der Regel verdammt teuer. Mittlerweile werden Maßnahmen, die einst der Bekämpfung der Schwerstkriminalität vorbehalten waren, bei deutlich tiefer angesiedelten Vergehen angewendet. Ich persönlich gebe der Entwicklung ca. 15 Jahre. Nur ein kontrollierbarer Bürger ist unverdächtig. Wer sich der Kontrolle entzieht, ist ein potenzieller Täter, schlicht weil er die theoretische Möglichkeit hat, eine Straftat zu begehen. Über den Umweg eines vermeintlichen Gewinns an Lebensqualität, Sicherheit und Service, wird eine lückenlose Überwachung des Bürgers möglich.

Smartwatches die Standorte und Körperwerte an Versicherungsanstalten senden, Fahrzeuge, die ihren Standort an einen Dienstleister mitteilen, Kameras an Plätzen, Ampeln, Verkehrszeichen, mit biometrischer Erkennungssoftware, sind längst nicht mehr Hirngespinste.
Es bedarf dann nur noch eines kleinen Schrittes: die Verzahnung mit den staatlichen Behörden. Dann haben wird einen Überwachungsstaat, der alles bisher da gewesene in den Schatten stellt. Die Freiheit in der Bundesrepublik Deutschland war ein Experiment, welches zum Scheitern gebracht wurde.

Die Erschaffer des Grundgesetzes haben ein wesentliches Verhalten übersehen. Die Unfähigkeit der Bürger, mit Gefahren, vernünftig umzugehen, und sie zu Gunsten, eines freien Lebens hinzunehmen. Vor dem Hintergrund des II. Weltkriegs und der Straßenschlachten während der Weimarer Republik, hatten sie ein vollkommen anderes Verständnis für Gefahren. Es ist leicht den Menschen in einer dekadenten Wohlstandsgesellschaft mit ein paar Toten in Panik zu versetzen.

Für die Freiheit ist es meiner Auffassung nach, vollkommen unerheblich, ob sie von einer Wirtschaft die quasi die Rolle des Staats übernommen hat oder dem Staat selbst, beschränkt wird. Die Demokratie ist längst eine Farce und wurde übernommen. Da ist es egal, wer die Daten und Bilder verwendet, das Ergebnis bleibt gleich. Wie gesagt, wer sich in Sicherheitskreisen mit diesen Dingen nicht kritisch auseinandersetzt, zeigt auf, wo die Reise hingeht. Die großen Konzerne haben längst eigene Abteilungen, die autark die Polizeiarbeit übernehmen und fertige Ermittlungsakten an die Staatsanwaltschaft übergeben.

Sicherheit, Freiheit, Gefahren und Angst sind im Kapitalismus bezifferbare, veräußerbare und käufliche Güter. Wir kaufen Sicherheit und geben dafür die Freiheit. Wollen wir sie wieder zurück haben, müssen wir dafür zahlen. Gestern musste man noch für GPS gestützte Serviceleistungen bezahlen, morgen wird man dafür Geld investieren, dass die Daten nicht an andere weitergereicht werden. Eben noch gab es eine ärztliche Schweigepflicht, heute bekommt man einen Preisnachlass bei der Krankenversicherung, wenn die Smartwatch am Handgelenk diese umgeht, will man dieses in Zukunft nicht, wird es teuer.

Wer nicht die notwendigen finanziellen Mittel hat, wird mit dem Verlust leben müssen. Kameras haben einen Hersteller. Die Software wird von Programmierern erschaffen. Bildschirme, Arbeitsplatzausstattung, Auswerter, die dazu passenden Sicherheitssysteme, all das spült Geld in die Kassen. Es lohnt sich nicht einmal, ein Buch darüber zu schreiben, weil es ein Plagiat von Orwell und Huxley werden würde. Nein, niemand kann mit Bestimmtheit sagen, wo es hingeht, aber man kann die aktuelle Situation hochrechnen und sich maximal der Hoffnung hingeben, dass sie von unerwarteten Ereignissen unterbrochen wird. Ich habe sie nicht. Natürlich kann man sich auch auf den Standpunkt stellen: «Freiheit? Brauche ich nicht!» Gut, dies ist dann eine philosophische Frage. Ich persönlich mag es nicht, wenn ich einer biologischen Masse angehöre, die von Leuten, die ich nicht mag, umhergeschubst wird.


Copyright 2021. All rights reserved.

Verfasst 11. Januar 2019 von Troelle in category "Allgemein

1 COMMENTS :

  1. By Taxibernd on

    Als Jemand, der gerne und viel auch im öffentlichen Raum fotografiert, habe ich mich über die Einführung der DSGVO maßlos geärgert.
    Nach etlichen nachdenkeN über den Sinn dieser Verordnung, würde mir klar, dass der Zweck und die Richtung der Verordnung richtig ist, nur man Wiedermalerei nicht alles in einen Text packen kann.
    In der ganzen Diskussion darüber habe ich irgendwo gelesen (finde leider die Quelle nicht mehr), dass jeder besiedelte Ort der Erde, mindesten einmal täglich fotografiert und öffentlich ins Netz gestellt wird.
    Berliner Hotspots wie Pariser Platz, Breitscheidplatz oder Potsdamer Platz werden sicherlich sekundlich in den sozialen Netzwerken gezeigt. Und dies geschieht Dank moderner Smartphonekameras mit einer atemberaubenden Qualitat, die die Sicherheitsorgane vor zehn Jahren vor Neid erblassen ließen.
    Und dort in den “Sozialen” Netzwerken werden die Bilder nahezu unkontrolliert von den jeweiligen Betreibern ausgewertet.
    Was braucht ich Onkle Sam (inkl. aller Pendants anderer Staatsgebilde) oder Big Brother wenn ich Papa Google oder Cousin Steve mit seinem dicken Buch habe?
    Und da ist es sicherlich auch nur noch eine Frage der Zeit, bis Behörden mit Privatunternehmen uneingeschränkt zusammenarbeiten.

    Antworten

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.