Einstellungsvoraussetzung Abitur? Warum?

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1988 – In einem schlecht ausgeleuchteten Büro, dessen Mobiliar zu großen Teilen aus der Zeit zwischen 1950 – 1970 stammt, sitzt ein einundzwanzigjähriger junger Mann vor einer mechanischen ADLER – Schreibmaschine. Neben ihm sitzt eine betagte Rentnerin. Außerdem sitzt im Raum an einem Blechschreibtisch, durch diverse Büropflanzen fast vollständig verdeckt, ein untersetzter Typ um die Mitte vierzig. Er hat es sich gemütlich gemacht und trägt Latschen. Sein schütteres Haar trägt er kreativ gescheitelt. Ein wenig wirkt er, wie eine Figur aus einem alten deutschen Schwarz .- Weiss – Film.

Der alten Dame wurde am Berliner Kurfürsten Damm die Handtasche gestohlen. Ruhig, von Fragen des jungen Mannes geführt, beschreibt sie die Tasche und den Inhalt. Nach einer Weile beendet er das Protokoll und legt es mit einer beinahe unterwürfig wirkenden Geste dem am Tisch sitzenden Mann vor. Dieser zündet sich eine Zigarette an und beginnt zu lesen. Nachdem er fertig ist, hebt er den Kopf und sieht den Jüngeren mit einer Mischung aus Verachtung und Ungläubigkeit an.

«Was ist denn bitte – mauve -?», grunzt er.
«Ein dunkles lila.», entgegnet der Jüngere.
«Aha! Und Anilinleder?»
«Ein weiches Leder mit besonderer Färbung.»
«Und woher weißt Du, das die Uhr von Cartier ist?»
«Das hat die Frau gesagt.»
«Die kann viel erzählen. Wenn es keine war und wir finden den Kerl, was nicht passieren wird, und es ist keine echte, hast Du ein Problem. Ändere das gefälligst. Erlangungsgut sind eine Damenhandtasche, Format DIN A4, weiches Leder, Farbe: lila, Damenarmbanduhr, gebraucht, gemäß eigener Angabe CARTIER, goldfarben. Und merke Dir verdammt noch mal, die Amtssprache ist deutsch.»

Der junge Mann war ich. Abitur, zwei Jahre BWL, abgebrochen und zu diesem Zeitpunkt in der praktischen Ausbildung in einem Kommissariat für einfache Diebstähle. Es folgten Jahre, in denen ich die tradierten Formeln der Alten mit eigenen Erfahrungen ausfüllte.

«Der Polizist steht mit einem Bein immer im Knast.»; «Polizei ist geregelte Armut.»; «Die Polizei ist kein Wunschkonzert.»; «Ober schlägt immer unter!», «Ein Bericht muss einfach, klar und wahr sein.» «Ein erfahrener Polizist schreibt mit einem Bericht den Arsch an die Wand.»; «Wer schreibt, der bleibt!»; «Wen Du mit zwei Seiten nicht in U -Haft gebracht hast, ist unschuldig.»; «Gehe nur zu Deinem Fürsten, wenn er Dich ruft!»; «Die Polizei ist kein Diskutierverein und auch keine Demokratie.»; “Das ist alles gewollt!”; “Das ist Politik, Klappe halten, machen, auch wenn es sinnlos ist.”

Diese Aufzählung könnte ich noch um einiges ergänzen.

Polizisten schreiben grundsätzlich im passiv. Sie handeln im Auftrag oder für jemanden. Weiterhin vermeiden sie es, sich mit einer Aussage festzulegen. Richter kennen dieses Problem zu Genüge, wenn sie es mit einem Polizeizeugen zu tun bekommen. Dies wirkt sich langfristig auf die Psyche aus.

In den zurückliegenden Jahrzehnten ist die Eigenverantwortung stets geschwunden. Die modernen Kommunikationsmittel ermöglichen höheren Positionen einen unmittelbaren Zugriff auf das Geschehen. Gleichsam ist es dem niederen Beamten, jederzeit möglich, eine Entscheidung weiter oben einzufordern. Solche Prozesse verselbstständigen sich und bleiben nicht ohne Folgen. Beispielsweise neigen Menschen dazu, die Verantwortung für ihr Handeln abzugeben, wenn sie ihr Umfeld und ihre Arbeit nicht mehr eigenständig gestalten können.

Neben den neuen Kommunikationsmitteln gibt es zweiten wesentlichen Faktor, der die Polizei maßgeblich veränderte. Mitte der 90er wurde mittels der Einführung moderner Begriffe aus dem Management versucht, der Polizei einen neuen modernen Anstrich zu geben. Bei Besprechungen schwirrten plötzlich «Balanced Scorecard», «Gender Mainstreaming», «Assessment Center», «Outsourcing» und «Kompetenz Zentren» durch den Raum. Damit einhergehend änderte sich die Optik in den Führungsetagen. Die Tischdeckchen und das Porzellangeschirr der Altvorderen wurden entsorgt und durch stylische Teekannen, Wasseraufbereiter und moderne Kunst ersetzt. Der praktische «Cordhosen Typ» verschwand und in die Büros der oberen Etagen zogen gestylte dynamische Anzugträger ein.

Nach der Polizeireform 1974 wurde Quereinsteigern der unmittelbare Zugang zum «Gehobenen Dienst» ermöglicht. Vorher musste der lange Weg durch die Polizei genommen werden. Voraussetzung war ab sofort ein Abitur. In seiner ursprünglichen Idee ist das Abitur bekanntermaßen eine Vorbereitung auf ein akademisches Studium gewesen. Die Abwertung der anderen Schullaufbahnen Hauptschulabschluss und Realschule, führte dazu, dass Arbeitgeber, die einen höheren Anspruch anmeldeten, nur noch Abiturienten einstellten. Hierzu zählte sich auch die Polizei. Es wurde eine Fachhochschule eingerichtet und künftig «studierten» die Anwärter. Ein ernstzunehmendes akademisches Studium ist das zu keinem Zeitpunkt gewesen und wird es auch niemals werden. Die Polizei ist und bleibt ein Dienstleister, der höheren politischen Ebenen zuarbeitet. Gesetze werden nicht im Sinne einer Rechtswissenschaft vermittelt, sondern es wird ein Basisrüstzeug übergeben.

Der Absolvent kommt nicht daran vorbei, dass er sich in einer Hierarchie mit einem Linienführungsprinzip wieder findet. Eben so wenig wird er vermeiden können, sich mit den angeführten Grundprinzipien auseinanderzusetzen. Das führt mich zur Frage nach der Sinnhaftigkeit eines Abiturs. Leisten sich beide Seiten, die Polizeibehörde und der Abiturient, damit wirklich einen Gefallen?

Abitur ist nicht Abitur und das Selbstverständnis der Abiturienten unterscheidet sich. Für mich war das Abitur eine Bestätigung dafür, dass ich kritisches analytisches Denken, die Fähigkeit eines Eigenstudiums und ein Grundwissen erlangt hatte. Von alledem konnte ich geschätzte 10 % in meinem Berufsleben unterbringen. Die anderen 90 % erwiesen sich eher hinderlich. Übertrieb ich es mit der Analyse und der Kritik, bekam ich das schnell zu spüren.

Mit einigem Abstand kann ich das nachvollziehen. Eine Struktur, wie eine deutsche Behörde, ist mit Leuten dieser Ausprägung nicht handlungsfähig und muss sich dieser erwehren. Doch warum dann ins Boot holen? Wäre es nicht sinnvoller sich Leute ans Land zu ziehen, die mit einer anderen Erwartungshaltung an einen Beruf herangehen? Zugeschriebene Fähigkeiten erlernen, umsetzen und die Verantwortung nach oben delegieren, ist das tägliche Brot eines jeden Betriebsangestellten in der Produktion. Und ich bitte darum, dies ohne jegliche Bewertung zu verstehen.

Andererseits räume ich ein, dass die Polizei einem mittelmäßigen Abiturienten eine nicht zu verachtende Chance gibt. In wenigen großen Firmen erlangt man recht zügig eine Personalverantwortung für 20 Leute, wenn man gerade mal mit einer 3,5 abgeschlossen hat, die dann mit einer 1,5 auf der deutlich einfacheren Fachhochschule ausradiert wird. Insofern ist es ein Anspruch an sich selbst. Ich glaube, man sollte an berufener Stelle nochmals über die Reform nachdenken. Einfachere Aufstiegsmöglichkeiten in der Laufbahn und niedrige Voraussetzungen beim Einstieg. Der Berufsanfänger kann sich dann bei passender Qualifikation nach oben durchkämpfen. Heutzutage werden fähige Leute aus dem mittleren Dienst zumeist geblockt. Ich kenne Polizeikommissare, die niemals die Chance bekommen werden, weiter aufzusteigen, jedoch die Aufgaben eines Hauptkommissars bewältigen.

Nur so eine Idee von einem Aussteiger, der es mit Gelassenheit sehen kann. Doch vielleicht liegen derartige Pläne bereits in Schubladen. An die Einführung einer zweigeteilten Laufbahn glauben lediglich sehr naive Menschen. Ein Heruntersetzen der Zugangsvoraussetzungen könnte eine geringe Besoldung rechtfertigen. Lediglich gezielt besetzte Führungspositionen, die über einen längeren Zeitraum, in dem sie intern aufstiegen, weniger bekamen, werden mit dem Sold des gehobenen Dienstes bezahlt.


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Verfasst 17. Januar 2019 von Troelle in category "Allgemein

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