Ein einsamer Reisender

Lesedauer 3 Minuten

Ein hilflos wirkender älterer Herr sitzt etwas verloren in einem Café auf der zu Malaysia gehörenden Insel Langkawi und versucht sich an einer Karte, die zu einer Broschüre gehört, zu orientieren. Sein schlechtes Englisch mit sehr ausgeprägten deutschen Akzent lässt ihn noch hilfloser wirken. Ich spreche ihn auf Deutsch an. Er ist überrascht, da ich seiner Meinung nach, nicht nach einem Deutschen aussehe. So lernte ich Willi kennen.

«Willi» sieht sich selbst als Reisender. Seit den Achtzigern ist der aus der Nähe von Hannover stammende deutsche Frührentner in Asien unterwegs. Gelernt hatte er mal unter dem Diktat seines Vaters Werkzeugmacher. Doch Handwerk war niemals seine Welt, deshalb schlug er eine kaufmännische Laufbahn ein.

Die Brille auf seiner Nase hat er schon 25 Jahre. Die Gläser haben immer noch Kratzer, der durch den Treffer eines nach ihm geschleuderten Bierglases in einer thailändischen Bar verursacht wurden. Willi kämmt seine Haare kreativ, in dem er die einseitig lang gewachsenen Haare über die Glatze in der Mitte legt. Er ersieht sich selbst als einen offenen Menschen.

Was er nicht mag, sind Tätowierungen bei anderen Menschen. Seiner Überzeugung nach, stellen die alle irgendwann fest, dass das ein Fehler war und diese später auf Kosten der Krankenkasse wegmachen lassen.
Viele würden sich ja den Namen einer Frau stechen lassen. Jedem sei ja wohl klar, dass das vorübergehend ist. Damit kennt er sich als geschiedener Mann aus. Diese Worte spricht er seltsamerweise beim Betrachten eines japanischen Gesamtkunstwerks auf der Haut eines fünfzigjährigen Australiers aus. Auf einen Hinweis hin, sagt er: «Ich wollte ja nur mal feststellen.»

Willi wurde schon oft in seinem Leben hintergangen. Vor dreissig Jahren fuhr ihn ein Taxifahrer in Bangkok «um den Block», seit her weiß er, was er weltweit von denen zu halten hat. Er schaut in einer Bar auch immer zuerst auf die Karte und prägt sich die Preise ein. So weiß er am Ende auf den Cent genau, was er zu zahlen hat. Irgendwie haben die Kratzer auf der Brille damit zu tun. Trotzdem mag er das Nachtleben. Er steht nicht auf dominante Frauen, dick dürfen sie auch nicht sein. Dick ist immer ein Ergebnis von ungesunder Lebensweise. Gern erläutert er seinen Mitmenschen bei einem Bier, was gesund und was nicht gesund ist. Jeder muss sich früher oder später das Rauchen abgewöhnen, da führt für ihn kein Weg dran vorbei.

Er ist nicht geizig, sondern als Buchhalter weiß er, wie man mit Geld korrekt umgeht. Deshalb recherchiert er stundenlang seine Reisewege. Er bedient sich dabei an einem WLAN in einem fremden Hostel. Begleitet werden seine Recherchen von Flüchen. Aus Sorge vor Ausspähungen hat er beim Einrichten seines Telefons alles abgelehnt. Aber er plant, dieses nochmals zu überdenken, wenn er endlich alle Nutzer – und Datenbestimmungen gelesen hat.

Willi hat noch ein anderes Problem. Er besitzt eine Wohnung, die er untervermietet hat. Nun muss er sehen, wie er an seine Post heran kommt. Es gab da mal dieses Hotel in Bangkok, wo er sich die Post hinschicken ließ. Aber diese Analphabeten haben die Briefe einfach weggeworfen. Neuerdings bekommt er seltsame Mails seines Automobilclubs, die wissen wollen, ob mit seiner Postanschrift alles in Ordnung ist. Die Mails erscheinen ihm merkwürdig. Er kennt niemanden in Deutschland dem er vertrauen würde. Zu seiner Tochter hat er keinen Kontakt mehr, die wollte nur an seine schmale Rente heran.

Früher war er vornehmlich in Indonesien unterwegs. Doch jetzt hat er Angst vor Anschlägen und zieht Thailand vor. Wie beschrieben steht Willi auf Fairness. Wenn er in Thailand zu einer jungen devoten Prostituierten geht, erläutert er zuvor genau, was geschehen soll. An diesen Vertrag hält er sich. Er ist keiner von denen, die dann Sachen machen, die die Frau nicht will. Willi mag das Nachtleben, es darf nur nicht zu laut sein. Deshalb bevorzugt er Bars in denen auch andere Deutsche verkehren. Besonders mag er Reggae Musik. Genau genommen kennt er nur ein Lied: «No Woman, No Cry!» Wahrscheinlich liegt das am Refrain.

Beim Thema Essen ist Willi empfindlich. Inder und Chinesen sind seiner Auffassung nach alle dreckig. Bei den Thais würde es noch gehen. Street – Kitchen lehnt er vollständig ab. Für jemanden wie Willi ist in Asien Essen zu gehen, ein harter Job. Katzen die sich auf einem Tresen rekeln oder auf einem Tisch liegen, bringen bei ihm ein hysterisches ungläubiges Lachen hervor.

Willi ist ein einsamer Mann. Vertraute hat er keine. Freunde auch nicht. Ab – und zu unterhält er sich mit einem Psychologen. Ein netter Mann, der ihm gern zuhört. Andere hören ihm selten zu. Woran das liegen könnte, versteht er nicht. Er versteht auch nicht, warum die Asiaten nichts Deutsches an sich haben. In seiner Welt sind die deutschen Gesetze und die Kultur Dinge, die der menschlichen Natur entsprechen. Deshalb müsste am Ende jeder darauf kommen, dass die deutsche Lebensart die alleinig mögliche ist.

Willi, 74, ein reisender ehemaliger Buchhalter aus Deutschland. Ein Klassiker? Oder eine Ausnahme? Übermorgen wird Willi von Malaysia nach «Koh Samui weiter reisen. Dafür muss er nochmals seine Sachen umpacken und ein wenig Recherchieren. Ich werde etwas später auch nach Koh Samui reisen um dort Freunde aus Hannover zu treffen. Ich überlege, wie ich mich verkleiden kann … damit mich Willi nicht erneut findet. Und ich habe mir fest vorgenommen, diese mir eigene Hilfsbereitschaft deutlich überlegter einzusetzen.

Schlagwörter: ,
Copyright 2021. All rights reserved.

Verfasst 18. Februar 2019 von Troelle in category "Allgemein", "Reisen

1 COMMENTS :

  1. Pingback: Italo Hippie | TROLLHAUS

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.