Die Leitkultur …

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Die «Deutsche Leitkultur»! Was für eine schöne «Wortkonstruktion». Wer diskutiert, sollte erst einmal klären, was er unter dem Wort versteht. Und das ist offensichtlich bei Kultur gar nicht so einfach. Während die einen «cultur and civilisation» gleich setzen, kommt ein Königsberger Lebemann daher und unterscheidet zwischen Zivilisation und Kultur. Ersteres ist notwendig zum halbwegs friedlichen Beisammensein und die Kultur ist irgendetwas darüber. Für Kant gilt als Kultur die «Idee der Moralität» (Kategorischer Imperativ), der Mensch soll seine Handlungen auf gute Zwecke ausrichten. Was denn dieses Gute eigentlich ist, ist ebenfalls nicht ganz einfach.

Kant selbst unterlag zu Lebenszeiten der Zensur, weil er sich mit der Bibel nicht in der Form auseinandersetzte, wie es die «Herrschenden» wollten. Ein interessanter Umstand, vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion oder Debatte. Ist ausgerechnet mein Innenminister eine Instanz, der über Kultur bestimmen darf? Noch fraglicher erscheint mir die Zusammenziehung der Wörter «Leit» und «Kultur». Egal welchen Denker der letzten Jahrhunderte ich zur Rate ziehe, Kultur wurde von keinem als Verhaltensvorschrift definiert, sondern als eine mögliche menschliche Errungenschaft. Dann wären da noch die untergegangenen Kulturen. Also für mich ein gesellschaftlicher Begriff. Ich habe davon nicht wirklich eine Ahnung, aber wenn ich das einiger Maßen verstanden habe, dann geht es dabei um ganz große Sachen, die sehr lange bestanden und plötzlich untergingen. Die Ägypter, die alten Griechen, die alten Römer, die Hunnen, die Azteken, Maya usw.. Wann also beginnt die Kultur, ich der ich lebe? Da gibt es bestimmt Antworten von sehr schlauen Historikern. Doch, ohne zu recherchieren, meine Kultur beginnt mit Sicherheit nicht mit dem 8. Mai 1945. Als Laie würde ich sagen, der Beginn der Industrialisierung erscheint mir persönlich als Favorit. Wir Europäer zogen an allen vorbei. Fielen in andere Staaten ein und kolonialisierten sie, damit wir Rohstoffe bekommen. Das machen wir noch heute, nennen es aber anders.

Der Mensch soll seine Handlungen auf gute Zwecke ausrichten. OK! Ich lebe in einer Ellenbogengesellschaft, in der Männer die Weibchen mit Kreditkarten bewerben. Wer Geld hat, darf die Ballkönigin begatten. Wie die Ballkönigin auszusehen hat, sagt mir das Fernsehen. Wie die Begattung zu vollziehen ist, sagt mir Youporn. Ich lebe angeblich in einer Leistungsgesellschaft, in der wir jedes Jahr Zuwächse verzeichnen, egal was es kostet. Vorbilder sind Menschen, die ganz toll singen können, gut mit einem Ball (der von kleinen indischen Kindern zusammengenäht wurde) umgehen können, erfolgreich andere um ihr Geld betrügen oder einfach nur machtgeil sind. Meine Klamotten wurden in der Dritten Welt unter inhumanitären Umständen zusammengebastelt. Für mein Smartphon sterben Menschen und für meinen Nikotinkonsum wird die Umwelt zerstört. Ist das Kultur?

Die Opfer meiner Kultur haben die Schnauze voll und schauen mal vorbei. Und weil meine Kultur über Jahrhunderte dafür gesorgt hat, dass sie verroht sind, benehmen sie sich, wie offene Hose. Mit anderen Worten, im Sinne von Kant, zivilisatorisch sind einige der Neuankömmlinge unterbelichtet. Die Basis haben wir geschaffen.

In meiner Welt, lasse ich prinzipiell jeden in Ruhe, der mich auch in Ruhe läßt. Greift mich ein Mensch körperlich an, bin ich dazu bereit ebenfalls Gewalt anzuwenden. Ich verstehe mich als soziales Wesen, dass dazu in der Lage ist, mit anderen Menschen mitzuleiden und verspüre das Bedürfnis, Schwächere im Zweifel zu schützen. Warum? Meiner Auffassung nach ist das notwendig, weil sonst die Angreifer auf mein Wertesystem die Oberhand bekommen und um mich herum etwas entsteht, in dem ich nicht leben möchte. Also purer Eigennutz.

Deshalb stehe ich auch jeden Tag mit einer seltsamen Frage in meinem Kopf auf. Was umtreibt die anderen? Ein Schläger muss doch theoretisch erkennen, dass er irgendwann mal an den Richtigen gerät und selbst auf die «Fresse» bekommt. Einem «Geldmenschen»  sollte doch klar sein, dass er auch irgendwann auf der Straße landen kann. Zuhälter, Dealer, Hools, Rocker müssen doch auch mal nachdenken. Oder haben sie längst nachgedacht und nur ihre eigenen Schlüsse gezogen?

Was ist mit den Leuten, die bei den Chemiekonzernen arbeiten? Den Vertretern der Atomenergie? Auch sie müssen doch erkennen, dass es nicht gut sein kann, tausenden Generationen diesen Dreck zu hinterlassen. Was ist los mit diesen ganzen Vögeln, die über eine «Deutsche Leitkultur» sinnieren, dabei aber ständig übersehen, dass wir uns jeden Tag benehmen wie Dreckssäcke?

Der Leser dieses BLOGs kann sich jetzt fragen: «Er macht es doch auch!» Stimmt! Ich trenne nicht einmal den Müll. Mein Hemd, welches ich gerade trage, ist aus Vietnam. Der Laptop hat mit Sicherheit lauter Bausteine, für die irgendwelche armen Schweine in einer Mine krepieren mussten. Meine Zigaretten sind ökologisch und gesundheitlich eine Katastrophe. Der Kaffee ist eine Verarschung! Niedere Qualität und mit Sicherheit nicht Fairtrade. Die Ravioli, die ich gleich essen werde, sind mit Abfallfleisch aus der Massentierhaltung gefüllt … alles korrekt. Im Gegenzuge erhebe ich mich aber auch nicht über andere und behaupte, meine Kultur ist besser als Deine! Erfolgreicher! Weil oftmals skrupelloser, darüber können wir reden. Ich stelle mich auch nicht als Patriot auf die Straße und will das Abendland retten. Noch die Generation meiner Großeltern hat versucht dieses in Schutt und Asche zu legen. Was Euch jenseits des Abendlandes nicht dazu berechtigt es auch einmal zu versuchen. Es gibt keine Gerechtigkeit im Unrecht.

Ich versuche es im ersten Schritt mal mit Ehrlichkeit. Sich daneben zu benehmen ist auch immer eine Frage der Mittel. Wenn ich nichts habe, kann ich keine Wirtschaftsverbrechen begehen. Wenn ich Geld habe, werde ich nicht auf die Idee kommen, in der U-Bahn Leute zu verprügeln. Zivilisatorisch und kulturell sind alle Verhaltensweisen dieser Art Rohrkrepierer.

Also wenn schon über Kultur diskutieren – dann ehrlich. Alles auf den Tisch! Bestandsaufnahme und Änderungen herbei führen. Sonst einfach Klappe halten und volle Deckung. Wenn ich als Gesellschaft schon Mist baue, dann mit allen Konsequenzen. Wir wollen gut auf Kosten der anderen leben? Bin ich dabei! Hier ist warm, Wasser kommt aus der Wand, Licht funktioniert und meine Wäsche riecht ganz angenehm. Dazu müssen wir billig Rohstoffe einkaufen, dafür sorgen, dass die Herkunftsländer nicht auf dumme Ideen kommen und zuviel Geld haben wollen.Solange sie sich gegenseitig den Schädel einschlagen ist alles gut. Frauen mit Burka und rückständige Fusselbartträger werden meinen Töchtern keine qualifizierten Jobs wegnehmen. Wir kaufen den Armen für einen Spottpreis ihre CO2 Emissionen ab und bei uns raucht der Schornstein. Karl – Heinz arbeitet bei Heckler und Koch, steht in Lohn und Brot, während sich in Syrien die Idioten mit deutscher Waffentechnik den Schädel wegblasen.

Das hat aber alles nichts mit Kultur zu tun, die können wir uns nämlich gar nicht leisten, wenn wir auf dem Niveau weiter leben wollen, wie bisher. Das weiß jeder Nachrichtendienstler, der dafür die Drecksarbeit macht. Fazit: Jede Zigarette, jeder Billigkauf, jeder Schluck Kaffee, jeder Billigschuh, der Weichspüler, das Duschgel, die unnötige Fahrt mit dem SUV zum Zigarettenautomaten, die in der Dritten Welt genähte Outdoor – Jacke, ist ein kleiner Teil der Flüchtlingsproblematik, der Entwurzelung und der Flucht in religiösen Dogmatismus. Das macht den U-Bahn Schläger nicht zum bedauernswerten Wesen, aber unschuldig bin ich selbst daran nicht. Leitkultur? Na ja … vielleicht sollte ich mal wieder zu Weihnachten 50 EUR spenden und ein paar Joghurtbecher in den Recycling Müll entsorgen.